Zuwendungsvergaberecht

"Merkblatt Vergabe" für ELER/EGFL-Förderprojekte in Sachsen-Anhalt

von Michael Pilarski

In Sachsen-Anhalt ist für die EU-Förderung ein "Merkblatt Vergabe" für private und öffentliche Auftraggeber im Rahmen von ELER/EGFL-Förderprojekten mit Stand vom März 2023 veröffentlicht worden und soll für Auftragsvergaben ab dem 01.03.2023 gültig sein.

Ausweislich der Einleitung soll das Merkblatt jedoch als "Hilfestellung für Antragstellende" dienen. An dieser Stelle würde sich schon zunächst die Frage stellen, ob die Pflichten aus dem Merkblatt im Zuwendungsverhältnis wirksam beauflagt werden oder sie tatsächlich "nur" Hinweise und Hilfestellungen für die Zuwendungsempfänger sind, die nicht zwingend befolgt werden müssen. Abhängig wird das von der Formulierung in den Förderbescheiden sein.

So interessant und hilfreich das Merkblatt an vielen Stellen zuwendungsvergaberechtlich sein mag, sind dem Autor vereinzelte Aspekte aufgefallen, deren Regelungen immer wieder auf ein schwieriges Verständnis bei Zuwendungsempfängern in der Anwendung stoßen und zuwendungsvergaberechtlich bzw. im Hinblick auf ihre Sinnhaftigkeit zumindest nicht unbedenklich sind.

1. Es soll nach den ANBest-P die VOL/A für Vergaben durch private Zuwendungsempfänger gelten. Zum 01.03.2023 ist in Sachen-Anhalt aber die UVgO mit dem Tariftreue- und Vergabegesetz eingeführt worden. Eine solche Regelung leistet nur dem ohnehin schon vorhandenen Flickenteppich im Zuwendungsvergaberecht Vorschub, statt Einheitlichkeit sicherzustellen.

2. Es wird deutlich auf den Unterschied zwischen drei Aufforderungen zur Angebotsabgabe und der Einholung von drei Vergleichsangeboten hingewiesen und darauf, dass bei Letzterer tatsächlich drei Vergleichsangebote beim Zuwendungsempfänger vorhanden sein müssen und dass drei Aufforderungen zur Angebotsabgabe bei einem oder zwei tatsächlichen Angebotseingängen nicht ausreichend sind.

Das ist aus Sicht des Autors eine der unzumutbarsten Regelungen für Zuwendungsempfänger, die in ein Zuwendungsverhältnis aufgenommen werden können, bei der sich zudem die Sinnhaftigkeit nicht erschließt. Wenn der Zuwendungsempfänger drei geeignete Unternehmen gleichzeitig zur Angebotsabgabe aufgefordert hat, von denen jedoch bspw. nur eines ein Angebot abgibt, dann ist dem formellen öffentlichen Vergaberecht Genüge getan, weil der jeweils aktuelle Markt abgebildet wurde. Warum der Zuwendungsempfänger nun aufgrund der Pflicht zur Einholung von drei Vergleichsangeboten verpflichtet wird, die tatsächlich vorliegen müssen, bleibt für den Autor ein Geheimnis. Im Ergebnis hat diese Pflicht zur Folge, dass ein Zuwendungsempfänger, der sogar eine ordnungsgemäße Verhandlungsvergabe durchgeführt hat, so lange neue Vergabeverfahren durchführen muss, bis tatsächlich drei Angebot vorliegen. Das ist ein Umstand, der aufgrund der Gegebenheit des Marktes für den Zuwendungsempfänger nicht vorhersehbar und nicht beeinflussbar ist. Die Marktlage in Branchen mit unter Umständen wenigen oder kaum Anbietern wird regelmäßig keine drei "vorliegenden" Angebote hervorbringen. Das hätte dann bei solch einer Auflage wie im Merkblatt zur Folge, dass teilweise zigfach Auftragsvergaben durch den Zuwendungsempfänger zu wiederholen sind. Unter Berücksichtigung des Umstands, dass bei EU-Förderprojekten Zuwendungsempfänger an die beantragten bzw. bewilligten Bewilligungs- und Durchführungszeiträume gebunden sind und der Zeitplan ohnehin straff ist, stellt dies eine Unzumutbarkeit dar, die kaum zu rechtfertigen ist. Warum dies ein Gewinn für den transparenten und gleichberechtigten Wettbewerb und die daraus resultierende Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit der Verwendung öffentlicher Mittel sein soll, bleibt für den Autor im Dunkeln.

Aufgrund solcher Gesamtumstände müsste nach Ansicht des Autors sogar über die Zulässigkeit bzw. Wirksamkeit einer solchen Vergabeauflage nachgedacht werden, wenn hier unter Umständen schon Unmögliches, aber zumindest Unzumutbares vom Zuwendungsempfänger verlangt wird. Auflagen müssen dem Zweck dienlich sein und dürfen nicht unmöglich einzuhalten oder widersprüchlich sein. Sie müssen insbesondere hinreichend bestimmt sein. Wenn aber nun ein Zuwendungsgeber von einem Zuwendungsempfänger verlangt, so lange jeweils Angebote einzuholen, bis tatsächlich drei vorliegen, ohne dass unter Berücksichtigung bestimmter Marktbereiche absehbar und damit ungewiss ist, ob überhaupt drei Angebote jemals vorliegen können werden, dann ist nicht abwegig, wegen dieser Ungewissheit an der rechtlichen Wirksamkeit zu zweifeln.

3. Für die Prüfung und das Vorliegen von Binnenmarktrelevanz wird deutlich auf Prozentsätze Bezug genommen, die bei den geschätzten Netto-Auftragswerten durch Zuwendungsempfänger zu beachten sind.

Das Vorliegen der Binnenmarktrelevanz ergibt sich unter Berücksichtigung der Mitteilung der EU-Kommission, die die Rechtsprechung insbesondere des EuGH abbildet, aus den Gesamtumständen eines öffentlichen Auftrags, wobei folgende Aspekte zu berücksichtigen sind:

- der Auftragsgegenstand,
- der geschätzte Auftragswert,
- die Besonderheiten des betreffenden Sektors (Größe und Struktur des Marktes,
wirtschaftliche Gepflogenheiten usw.) sowie
- die geographische Lage des Orts der Leistungserbringung

Zwar ist sicherlich gut gemeint, den Zuwendungsempfängern an dieser Stelle prozentuale Vorgaben an die Hand zu geben, ab wann eine Binnenmarktrelevanz nicht auszuschließen ist. Wird quasi im gleichem Atemzug aber gesagt, dass "im Einzelfall auch bei deutlich geringeren Auftragswerten bereits eine Binnenmarktrelevanz gegeben sein" kann, kann man sich diese prozentualen Vorgaben getrost sparen, da sie einen Zuwendungsempfänger nicht voranbringen; unabhängig davon, dass weder die EU-Kommission noch der EuGH, soweit ersichtlich, von solchen Grenzen ausgehen, die dann willkürlich erscheinen. Selbst nach der Mitteilung der EU-Kommission sind für eine erhöhte Transparenz bei Vorliegen der Binnenmarktrelevanz Veröffentlichungen in kommunalen Amtsblättern zulässig. Das Merkblatt gibt jedoch eine Veröffentlichung auf Vergabe-Portalen, bund.de oder dem Europäischen Ausschreibungsanzeiger vor und erhöht nach Ansicht des Autors, aus welchem Grunde auch immer, die Anforderung an Zuwendungsvergaben.

4. Für freiberufliche Leistungen werden zwar die Erleichterungen betont, jedoch gleichzeitig klargestellt, dass auch hier die Binnenmarktrelevanz mit ihrem Prozentsätzen zu beachten ist.

Das Merkblatt besagt: "Die Aufträge sind im Wettbewerb an den Bewerber zu vergeben, der im Hinblick auf die gestellte Aufgabe am ehesten die Gewähr für eine sachgerechte und qualitätsvolle Leistungserfüllung bietet. Die Aufträge sollen möglichst gestreut werden. "

Dafür sollen formlos drei Angebote ausreichen. Im gleichen Atemzuge wird aber die dennoch bestehende Pflicht zur Einhaltung der Vorgaben für die Binnenmarktrelevanz betont, die ja aufgrund der 10-Prozent-Vorgaben auch bei freiberuflichen Leistungen bereits bei 20.000 Euro netto nicht ausgeschlossen ist. Zudem ist bei deutlich geringeren Auftragswerten eine Binnenmarktrelevanz im Einzelfall auch noch möglich. In der Folge bedeutet das, freiberufliche Leistungen sind formlos mit drei Angeboten zu dokumentieren, allerdings müssen sämtliche Vorgaben für die Binnenmarktrelevanz eingehalten werden, obwohl es in der Regel um freiberuflich tätige deutsche Planer wie Architekten und Ingenieure geht, die nach der deutschen HOAI und damit dem deutschen Planerrecht Leistungen in Deutschland erbringen, die wiederum aus diesem Grunde allein wegen der deutschen Kenntnisse in Sprache und Planerrecht kaum Interesse im EU-Binnenmarkt hervorrufen dürften. Ob eine solche zuwendungsvergaberechtliche Regelung zielführend ist, wenn man Zuwendungsempfängern mit Fördermitteln zur Seite stehen möchte, um im Allgemeininteresse liegende Zwecke und Aufgaben zu erfüllen, mag sich jeder selbst beantworten.

5. Als häufiger Vergabefehler wird die unterlassene Abfrage im Wettbewerbsregister aufgelistet.

Zutreffend ist, dass mittlerweile eine Pflicht besteht, vor Erteilung des Zuschlags eine Abfrage im Wettbewerbsregister durchzuführen und den Zuschlagsprätendenten "durchzuleuchten". Aber ob es vor dem Hintergrund der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit der Verwendung öffentlicher Mittel, die das vorrangige Ziel im Zuwendungsverhältnis sind, zweckmäßig erscheint, einen häufigen Vergabefehler im Zuwendungsverhältnis aufgrund dieses Unterlassens festzustellen, erscheint fraglich und wird erfahrungsgemäß dazu führen, dass eine Vielzahl von Zuwendungsempfängern an dieser Stelle mit Rückforderungen konfrontiert wird, obwohl das Vergabeverfahren im Wesentlichen gleichberechtigt und transparent abgelaufen ist.

6. Nach dem Merkblatt werden schwere Vergabeverstöße im Zahlungsantrag mit bis zum 100% des jeweiligen Auftrags/Zusatzauftrags gekürzt.

Das ist ein einfacher Satz des Merkblatts, der es insbesondere in verwaltungsgerichtlichen Streitigkeit jedoch in sich hat und der mit Vorsicht zu genießen ist. Im Zuwendungsverhältnis ist Ermessen auszuüben. Ermessensfehler dürfen nicht durch die Bewilligungsstelle begangen werden. In jedem Einzelfall müssen daher alle Gesamtumstände gewürdigt werden, auch atypische Fälle, die eine von der Regel abweichende Beurteilung des Sachverhalts rechtfertigen. Das dürfte aber nicht der Fall sein, wenn die Aussage getroffen wird, dass bei schweren Vergabeverstößen anscheinend stets ohne Ausweichmöglichkeiten im Zahlungsantrag gekürzt wird. Wie bereits in der Rechtsprechung oftmals entschieden wurde, ist die Kürzung kein "Automatismus" nach Vergabefehlern.

Fazit:

Zuwendungsgeber sollten stets Erwägungen über die Zweckmäßigkeit ihrer Regelungen anstellen, wenn sie ein Interesse daran haben, Fördermittel zu gewähren. Zuwendungsempfänger sollten bei etwaigen in Aussicht gestellten Kürzungen nicht den Kopf in den Sand stecken. Vereinzelte Regelungen mit Pflichten können durchaus bedenklich und angreifbar sein.

Zurück

expand_less