Zuwendungsvergaberecht

Land Hessen fordert von der Stadt Bad Nauheim Fördermittel wegen schwerer Vergabefehler zurück

von Michael Pilarski

Das Kastanienrondell samt Brunnen ist ein prägendes Element des Siesmayer-Kurparks in Bad Nauheim. Für die Rekonstruktion dieses Kastanienrondells im Vorfeld der Landesgartenschau im Jahr 2010 sind vom Land Hessen Fördermittel gewährt worden. Die eigens für die öffentliche Auftragsvergabe gegründete Landesgartenschau GmbH (LGS GmbH) war für die öffentliche Auftragsvergabe zuständig. Die LSG GmbH ist von zwei Geschäftsführern vertreten worden. Für die beiden Gartenschau-Gelände Goldstein und Kurpark sind Investitionen in Höhe von insgesamt 8 Mio. Euro vorgesehen worden, 2,5 Mio. davon vom Land Hessen.

I. Sachverhalt

Die Stadt Bad Nauheim sieht sich jetzt dem Vorwurf von schweren Vergabefehlern und einer drohenden Rückforderung der Zuwendung ausgesetzt. Das zuständige Hessische Ministerium fordert Fördermittel in Höhe von 578.000 Euro zurück. Das Land möchte die förderfähigen Ausgaben um fast 1 Mio. kürzen, was bei einer Förderquote von fast 60 Prozent eine Kürzung der Zuwendung von nahezu 600.000 Euro bedeutet. Der Hessische Landesrechnungshof stellte in einem Bericht aus dem Jahre 2018, der ein Jahr später veröffentlich wurde, diverse Vergabeverstöße der Gesellschaft, die mittlerweile liquidiert worden ist, fest. Hauptsächlich geht es um den Bau des Kastanienrondells samt Brunnen, in dessen Rahmen die Verstöße begangen worden sein sollen. Den Bericht des Hessischen Landesrechnungshofs nahm das Hessische Umweltministerium zum Anlass, von der Stadt Bad Nauheim Fördermittel in Höhe von 578.000 Euro zurückzufordern. Die Stadt verweigert die Rückzahlung, hat beim Verwaltungsgericht Gießen eine Klage gegen den Rückforderungsbescheid des Landes Hessen eingereicht.

Laut Landesrechnungshof habe die Stadt Bau Nauheim zahlreiche erteilte Aufträge in Bezug auf den Bau des Rondells nicht ausgeschrieben, sodass die Fördersumme reduziert worden sei. Kritisiert wird seitens des Rechnungshofs insbesondere, wie die Materialbeschaffung für die Rekonstruktion des Kastanienbrunnens erfolgt sei. Von den Prüfern heißt es laut Wetterauer Zeitung vom 23.06.2021, vgl. https://www.wetterauer-zeitung.de/wetterau/bad-nauheim-ort78877/bitteres-nachspiel-einer-tollen-grossveranstaltung-90818444.html:

"Der Rechnungshof Hessen hat drei Landesgartenschauen einer Sonderprüfung unterzogen. Veranstalter waren die Städte Bad Nauheim (2010), Gießen (2014) und Bad Schwalbach (2018). Kleinere Verstöße gegen Vergaberichtlinie wurden in allen drei Kommunen festgestellt, zu einer Rückforderung kam es allerdings nur im Fall Bad Nauheim, weil es hier nach Ansicht der Prüfer zu einer gravierenden Missachtung der Vorschriften gekommen ist. Bezüglich der Landesgartenschau Gießen sollte die förderfähige Summe zunächst um 300 000 Euro verringert werden. Nachdem die Stadt Unterlagen nachgereicht hatte, wurde diese Forderung fallen gelassen. Bad Nauheim soll dagegen fast 600 000 Euro zurückzahlen.

Den hiesigen Verantwortlichen wird ein schlechtes Zeugnis ausgestellt. Stichworte: unzulässige Preisverhandlungen im Vergabeverfahren, nicht vergaberechtskonforme Leistungsverzeichnisse und freihändige Vergaben oberhalb der zulässigen Wertgrenzen. »Das führte bei der Landesgartenschau in Bad Nauheim zu schweren Vergabeverstößen«, heißt in den »Bemerkungen 2018« zur Haushalts- und Wirtschaftsführung des Landes. Laut Rechnungshof wurden bei zwei Gewerken nach Eröffnung der Angebote Bietergespräche geführt und nachträgliche Änderungen vorgenommen. Das gilt bei Vergabeverfahren als »No-Go«. In einem Leistungsverzeichnis seien bereits konkrete Produkt- und Lieferantenbezeichnungen aufgetaucht. Andere Gewerke seien ohne Begründung freihändig vergeben worden.

Die zuständige Kontrollinstanz des Landes, der Landesbetrieb Landwirtschaft Hessen (LLH), wird ebenfalls kritisiert. Er habe seine Überwachungsaufgabe »nicht ordnungsgemäß wahrgenommen«."

Das Ministerium habe laut Pressereferent des Gerichts rechtzeitig gehandelt. Die "Ansprüche" dürften "bis zu 15 Jahre" lang geltend gemacht werden, ist seine Argumentation. Die Stadt müsse die Fördermittel unter Umständen zurückzahlen, weil die LSG GmbH, die für die Auftragsvergabe zuständig war, in ihrem Auftrag gehandelt habe.

Der Bürgermeister der Stadt Nauheim möchte sich zu den Erfolgsaussichten der Klage gegen den Rückforderungsbescheid nicht äußern, teilt jedoch mit, dass die Stad ein Gutachten habe erstellen lassen, das dem Gericht vorliege. Danach seien die Vergabeverfahren der geförderten Ausgaben nicht zu beanstanden, vgl. https://www.wetterauer-zeitung.de/wetterau/bad-nauheim-ort78877/bitteres-nachspiel-einer-tollen-grossveranstaltung-90818444.html.

II. Rechtliche Bewertung

Nach den bisherigen Presseberichten scheint die Stadt Bad Nauheim zumindest unstreitig Fördermittel in Höhe von 578.000 Euro bei einer Förderquote von fast 60 Prozent erhalten zu haben. Ohne Einsicht in die Verwaltungsvorgänge ist eine abschließende Bewertung nicht möglich. Um die Vergabeverstöße seitens des Landes Hessen zu sanktionieren, ist zunächst eine Auflage im Zuwendungsbescheid zur Einhaltung des öffentlichen Vergaberechts zwingend notwendig, damit Folgen an die Verletzung der Vergabebestimmungen überhaupt geknüpft werden können. Denn wenn diese Pflicht bereits nicht wirksam beschieden ist, dann würde sich die Diskussion über die Vergabeverstöße gänzlich erübrigen.

Sollte die Vergabepflicht wirksam in das Zuwendungsverhältnis einbezogen worden sein, so hätte der Landesrechnungshof nach derzeitigen Informationen zumindest hinsichtlich des Vorliegens der schweren Vergabeverstöße Recht. Er unterscheidet zwischen leichten und schweren Vergabeverstößen, was grundsätzlich auf der Ebene des Ermessens erfolgt. Dabei werden nach den Ermessensleitlinien der Länder bzw. Fördermittelgeber nur schwere sanktioniert wie bei der Stadt Nauheim. Hier stehen Vergabeverstöße in Rede wie:

- unzulässige Preisverhandlungen

- nicht vergaberechtskonforme (nicht produktneutrale Leistungsverzeichnisse)

- freihändige Vergaben ohne Ausnahmetatbestand oder Wertgrenzenerleichterung

- nachträgliche Änderung der Angebote nach Öffnung durch Bietergespräche

Nach hiesiger Ansicht sind die aufgezählten Vergabeverstöße allesamt schwere Verstöße, die grundsätzlich nach den meisten Leitlinien der Bundesländer und Fördermittelgeber mit Kürzungen der Zuwendung sanktioniert werden.

Fraglich ist jedoch derzeit, warum das Land laut Pressereferent des Gerichts diese "Ansprüche" auf Rückforderung "bis zum 15 Jahre" geltend machen können soll.

Zunächst dürfte es sich begrifflich gar nicht um Ansprüche des Landes handeln. In der Regel werden derartige Förderungen als Anteilsfinanzierung unter dem Vorbehalt der späteren Schlussabrechnung gewährt. Die Bewilligungsbehörde hat dann ein Gestaltungsrecht auf Ersetzung des vorläufig ausgesprochenen Bewilligungsbescheids durch einen Schlussbescheid. Ein Gestaltungsrecht ist aber kein Anspruch. Wie der Zeitraum für die Geltendmachung von 15 Jahren zustande kommt, erschließt sich nach derzeitigen Informationen nicht gänzlich. Sollte es sich um einen solchen vorläufigen Bewilligungsbescheid handeln, so könnte aber die lange Rückforderungsfrist unter Umständen zutreffen. Denn hier sind die §§ 49, 49 VwVfG nicht anwendbar. Das Recht, den Schlussbescheid zu erlassen, unterliegt weder der Frist des § 48 Abs. 4 VwVfG noch der regelmäßigen Verjährungsfrist der §§ 195 ff. BGB, sodass bestenfalls die Verwirkung oder die längste im öffentlichen Recht denkbare Frist von 30 Jahren nach Treu und Glauben gelten könnte. Nicht ausgeschlossen ist, dass individuelle förderrechtliche Bestimmungen zu der Frist von genau 15 Jahren führen.

Sollte es sich um einen endgültigen Bewilligungsbescheid gehandelt haben und wären die §§ 48, 49 VwVfG für eine Aufhebung anwendbar, dann müsste sich das Land insbesondere fragen lassen, warum eine Rückforderung weit nach Ablauf der einjährigen Ausschlussfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG generiert wird, die grundsätzlich mit der Stellungnahme der Stadt Bad Nauheim nach Anhörung begonnen hätte.

Einen interessanten Beigeschmack erhält die Rückforderung deswegen, weil die für die Auftragsvergabe gegründete LSG GmbH zwei Geschäftsführer hatte und Mitglieder des Aufsichtsrats neben den Vertretern der Stadt auch Vertreter des Landes und der Fördergesellschaft Landesgartenschauen Hessen und Thüringen waren, die von der Durchführung der einzelnen Vergabeverfahren und rechtlichen Rahmenbedingungen im Zuwendungsverhältnis in Kenntnis gewesen sein müssten. An dieser Stelle würde sich die Frage stellen, inwieweit diese Kenntnis dem Land im Sinne des § 242 BGB unter Umständen zuzurechnen wäre und die Stadt Bad Nauheim daher auf die Konformität seiner Vergabeverfahren hätte vertrauen dürfen.

Ob die Stadt Bad Nauheim nachträglich noch entsprechende Erklärungen und insbesondere Dokumentationen für die bereits durchgeführten Vergabeverfahren wird vorbringen können, bleibt im verwaltungsgerichtlichen Verfahren abzuwarten.

III. Fazit

Weit nach Bewilligung der Förderung und Durchführung der damit verbundenen öffentlichen Vergabeverfahren besteht für Zuwendungsempfänger die Gefahr, mit hohen Rückforderungen konfrontiert zu werden. Das Damoklesschwert des "Zuwendungsvergaberechts" schwebt stets über ihnen, sodass Zuwendungsempfänger gut beraten sind, hier rechtzeitig Vorkehrungen durch qualifizierte Beratungen und Schulungen des eigenen Personals zu treffen.

 

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